Sonntag, 7. Februar 2010

Der Mensch ist kein Goldfisch - Glosse über Großraumbüros













Goldfisch - Foto: Alexandra-Bucurescu - http://www.pixelio.de

Von Ernst Probst

Gar nicht glücklich wirkte der alte Bekannte aus der Redaktion einer Tageszeitung, den ich kürzlich zufällig auf der Straße traf. Als ich ihn fragte, wie es ihm gehe, beklagte er sich bitter darüber, dass er seit einiger Zeit in einem riesigen Großraumbüro untergebracht sei. Früher hatte er zusammen mit wenigen Kollegen in einem Zimmer gesessen, heute hat man ihn zusammen mit mehr als 30 anderen Leuten in ein Großraumbüro gepfercht.

Der bedauernswerte Bekannte berichtete, er könne fast nicht mehr in Ruhe telefonieren, weil er wegen des ständigen Geräuschpegels im Großraumbüro seine Gesprächspartner nur bruchstückhaft verstehe. Arbeiten, für man eine gewisse Konzentration und Ruhe benötige, seien kaum möglich, weil immer irgend jemand laut rede oder telefoniere. Wenn eine Tür aufgehe und jemand den Raum betrete, schauten alle auf, wer denn jetzt gekommen sei.

Ständig stehe einer der Chefs im Großraumbüro herum und spräche dort unnötig lang und laut. Manchmal stelle sich ein Chef sogar hinter den Rücken eines Redakteurs oder einer Redakteurin und sähe interessiert minutenlang zu, was man gerade auf dem Computerbildschirm fabriziere.

Wenn jemand einen Fehler gemacht habe und dafür laut vom Chef gerügt würde, hörten immer fast 30 Leute zu. Auch untereinander ginge es teilweise wie in einem Hühnerhaufen zu, weil viel über andere gegackert und auf ihnen herumgehackt werde. Das Großraumbüro sei regelrecht eine Brutstätte für Mobbing mit Pressionen und Depressionen.

Wenn fremde Besucher/innen kämen, würde sich mancher der dort beschäftigen Redakteure/innen dafür schämen, wie schäbig er untergebracht sei. Kollegen/innen, die einige Minuten früher als die anderen Feierabend machten und den Raum verließen, würden schief angesehen und nicht selten sogar deswegen "angepflaumt".

"Warum habt ihr Euch gegen dieses Menschen verachtende Großraumbüro nicht mit Händen und Füßen gewehrt?" fragte ich meinen alten Bekannten. Er gab keine Antwort, sondern schaute mich so an, als ob ich völlig verrückt geworden sei. "Ihr schreibt flammende Kommentare gegen Ungerechtigkeiten in aller Welt und lasst Menschenversuche mit Euch selbst am Arbeitsplatz zu", meinte ich ungläubig. Mit dieser Bemerkung hatte ich wohl keinen neuen Freund gewonnen. Danach war die Begegnung jäh beendet.

Ähnlich wie dem bedauernswerten Redakteur ergeht es momentan auch dem mir wohlbekannten Beamten in einer großen Behörde. Sein Chef ließ die massiven Wände zwischen allen Büros abreißen und durch neue Trennwände ersetzen, die zur Hälfte aus Glas bestehen. Die Folge: Jeder sieht, hört und kontrolliert nun alles, was ihn meistens gar nichts angeht. "Es gibt keinen Hauch von Privatleben mehr", seufzte der Beamte, den ich als sehr fleißigen Menschen kennen und schätzen gelernt habe.

"Der Mensch ist doch kein Goldfisch, den jeder hinter Glas betrachten kann, so lange er will", antwortete ich empört. Der Angesprochene nickte und blickte traurig drein.

Ein paar Tage später fiel mir das alte Sprichwort ein: "Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht Steinen werfen". Das würden die Beamten hinter Glas bestimmt nicht mehr wagen, sie hatten es allerdings auch vorher schon nicht getan.

In beiden Fällen habe ich mich intensiv erkundigt, ob die obersten Chefs der erwähnten Redakteure und Beamten ebenfalls in vollgepferchten Großraumbüros oder für jedermann hinter Glas beobachtbar residieren würden. Natürlich nicht. Die großen Bosse behielten ihre riesigen Chefzimmer mit massiven undurchschaubaren Wänden und wurden weiterhin von ihren Sekretärinnen im Vorzimmer abgeschirmt, damit nicht jeder zu jeder Zeit unerwartet in ihr Reich eintreten und sie stören konnte.

Mein Vorschlag: Man sollte vor Großraumbüros ebenfalls Vorzimmer einrichten und Chefs nur noch in Ausnahmefällen einlassen, wenn die Mitarbeiter/innen tatsächlich, Zeit und ein Ohr für sie haben. Und jeder Chef sollte selbst hinter Glas beweisen müssen, dass er in jeder Stunde 60 Minuten arbeitet, wie er es von seinen Mitarbeitern/innen erwartet.